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Christian Doermer Quelle: Internationale Kurzfilmtage Oberhausen, Foto: Simon Weber

Filmbüro-Mitglied Christian Doermer gestorben

Der Schauspieler, Regisseur und Filmproduzent Christian Doermer (Foto: Simon Weber / Quelle: Internationale Kurzfilmtage Oberhausen) war Mitunterzeichner des Oberhausener Manifests und seit 1988  Mitglied im Filmbüro NW. Nun ist er im Alter von 87 Jahren in Samerberg verstorben. Unsere herzliche Anteilnahme gilt seinen Angehörigen und Freunden.  In Erinnerung an Christian Doermer teilen wir Peter Kremskis bei Artechock veröffentlichten Nachruf.

Abschied von einem Oberhausener Rebellen

Persönliche Erinnerungen an Christian Doermer, der Mitte Juli im Alter von 87 Jahren gestorben ist

Von Peter Kremski

Er war der jüngere, brave Bruder von Horst Buchholz 1956 im 50er-Jahre-Film­klas­siker Die Halb­starken. Das machte ihn zum viel­ver­spre­chenden Nach­wuchs­ta­lent im deutschen Kino der Fünf­zi­ger­jahre und zu einer möglichen Iden­ti­fi­ka­ti­ons­figur für die junge Genera­tion, da war er 21 Jahre alt. Den entschei­denden Sprung in seiner Karriere vollzog er aber erst fünf Jahre später, als er 1961 die Haupt­rolle spielte in Herbert Veselys Das Brot der frühen Jahre, dem ersten Film nach einer Lite­ra­tur­vor­lage von Heinrich Böll.

Bölls 1955 entstan­dene Erzählung war ein präzises Stim­mungs­bild der deutschen Nach­kriegs­zeit, die gerade in den Wirt­schafts­wun­der­jahren ange­kommen war. Dem jungen Prot­ago­nisten, der mit leicht wölfi­schem Instinkt eine absehbare Aufstei­ger­kar­riere einzu­schlagen beginnt, die wohlfeil passen würde zu der seelen­losen Ober­fläch­lich­keit einer vornehm­lich an mate­ri­ellen Werten orien­tierten neudeut­schen Konsum­ge­sell­schaft, gelingt am Ende doch noch eine exis­ten­ti­elle Abkehr von den vorge­zeich­neten Bahnen eines ober­fläch­lich-konven­tio­na­li­sierten Lebens ohne Tiefgang durch die unver­hoffte Wieder­be­geg­nung mit einer Freundin aus der Schulzeit, durch die er wieder zu Gefühlen findet, die verschüttet waren.

Der Expe­ri­men­tal­filmer Vesely macht daraus in seiner Verfil­mung etwas frap­pie­rend Eigenes, bricht mit der Linea­rität der Narration und setzt mit einer im deutschen Kino der damaligen Zeit unge­kannten formalen Virtuo­sität die filmische Version dieser Geschichte aus wech­selnden Perspek­tiven und dadurch struk­tu­rell verschach­telt neu zusammen, dabei den Jazz-Impulsen der Musik folgend. Damit markiert Das Brot der frühen Jahre den Anfang einer neuen Welle im deutschen Film, parallel zu der in Frank­reich damals aktuellen Nouvelle Vague. Im Mai 1962 läuft der Film als deutscher Beitrag im Wett­be­werb von Cannes, evoziert Vergleiche mit Resnais und Antonioni und wird anschließend von einer völlig verständ­nis­losen deutschen Film­kritik in Grund und Boden versenkt, dann folge­richtig auch beim Publikum ein Miss­erfolg.

Drei Monate zuvor, im Februar 1962 gehörten der Regisseur, der Produzent, der Kame­ra­mann und der Haupt­dar­steller von Das Brot der frühen Jahre zu den Mitun­ter­zeich­nern eines Manifests, mit dem bei den Kurz­film­tagen Ober­hausen eine Gruppe von 26 Film­schaf­fenden verkün­dete, einen neuen deutschen Film kreieren zu wollen. Das Ober­hau­sener Manifest wurde zur Geburts­stunde des Jungen deutschen Films der 1960er Jahre, und Das Brot der frühen Jahre sollte den Mani­fes­t­anten als erster in ihrem Sinne fertig­ge­stellter Spielfilm zur anschau­li­chen Unter­maue­rung ihrer Forde­rungen als Refe­renz­bei­spiel dienen.

Mit 26 Jahren war Christian Doermer der Zweit­jüngste der Unter­zeichner, jünger war mit 24 Jahren nur Rob Houwer. Nach Ober­hausen angereist war man aus München, denn die akti­vis­ti­sche Energie ging aus von einer in München gegrün­deten »Gruppe für Film­ge­stal­tung«, die sich DOC 59 nannte und zu der auch Peter Schamoni gehörte. Unter Schamonis Regie spielte Christian Doermer 1965 dann noch einmal eine Haupt­rolle in einem jetzt so prokla­mierten »Jungen deutschen Film«: Schonzeit für Füchse.

Heinrich Bölls Erzählung habe ich erst gelesen, nachdem ich die Verfil­mung sah, die mich mit ihrer expe­ri­men­tellen Virtuo­sität beein­druckt hatte, das dürfte Anfang der 1980er Jahre gewesen sein. Und Christian Doermer bin ich persön­lich 1987 zum ersten Mal begegnet, da war ich Pres­se­re­fe­rent der Kurz­film­tage Ober­hausen und auch kura­to­risch mit den Festi­valak­ti­vi­täten zum 25jährigen Jubiläum des Ober­hau­sener Manifests befasst. Dazu gehörte, dass ich eine Foto­aus­stel­lung aus dem Archiv der Kurz­film­tage aufbaute, Filme für die Retro­spek­tive beschaffte, die Frank Arnold von Berlin aus zusam­men­stellte, und die Mani­fest­un­ter­zeichner von damals alle noch einmal nach Ober­hausen zu lotsen versuchte.

Die drei Erfolgs­re­gis­seure winkten ab. Edgar Reitz wäre gerne gekommen, konnte aber nicht, und Alexander Kluge und Peter Schamoni wollten schlichtweg nicht. Viele aber kamen, darunter auch die Mani­fes­tler von Das Brot der frühen Jahre. Produzent Hans­jürgen Pohland war schon als Reprä­sen­tant der Gruppe in die Jubiläums­vor­be­rei­tungen einbe­zogen gewesen und saß jetzt mit Regisseur Vesely und Haupt­dar­steller Doermer auf dem Podium. Die meisten der Mani­fest­un­ter­zeichner saßen jedoch undank­ba­rer­weise nur im Parkett und durften sich groß­zü­gi­ger­weise einmal erheben und ins Publikum winken. Darunter auch Haro Senft, einstmals der charis­ma­ti­sche Anführer der Gruppe, der 1962 im Ober­hau­sener Februar seine Führungs­po­si­tion in dem Moment verloren hatte, als er sich dazu entschied, dem eloquenten Alexander Kluge die Leitung der Pres­se­kon­fe­renz zu über­lassen.

Auf dem Podium saßen auch Filme­ma­cher aus jüngeren Genera­tionen: der 37-jährige Christoph Böll und der 26-jährige Christoph Schlin­gen­sief, beide in der Region verwur­zelt, Schlin­gen­sief in der Tat ein geborener Ober­hau­sener und genauso jung wie Christian Doermer, als er 1962 das Film­ge­schichte gewordene Manifest unter­schrieb. Die Gesprächs­lei­tung hatte der feine Wolf Donner, einer der besten Film­kri­tiker in Deutsch­land, früher mal Film­re­dak­teur bei »Zeit« und »Spiegel«, zeitweise auch Leiter der Berliner Film­fest­spiele, damals aber Star­kri­tiker beim Berliner »Tip«-Magazin.

Einem der auf dem Podium versam­melten Disku­tanten konnte er aller­dings nichts entlocken: Herbert Vesely starrte völlig desin­ter­es­siert in die Luft und sagte kein einziges Wort. Der rede­freu­dige Christian Doermer fauchte ihn nach dem Podium aufge­bracht an: »Und wo war der Herbert?« Doch Vesely wehrte nur missmutig ab, er hatte rundweg keine Lust, sich »von den Ober­hau­sener Kultur­funk­ti­onären vor den Karren spannen zu lassen«. Aus seiner Verwei­ge­rungs­hal­tung schim­merte auch Verbit­te­rung durch über eine tragisch verlau­fene Karriere, er drehte 1987 seinen letzten Film.

Christian Doermer war der einzige der einge­la­denen Mani­fest­un­ter­zeichner, der über diese die eigene film­his­to­ri­sche Leistung würdi­gende Veran­stal­tung hinaus auch für den Rest des Festivals in Ober­hausen blieb, weil ihn die aktuellen Filme inter­es­sierten. Er war jetzt 51 Jahre alt, war nach dem Ober­hau­sener Manifest zum Filme­ma­cher geworden als Produzent, Regisseur und Autor sozi­al­po­li­tisch enga­gierter Doku­men­tar­filme und wie kein anderer aus der Gruppe der Ober­hau­sener Mani­fest­un­ter­zeichner dem Festival über die Jahre stets verbunden geblieben. Ich habe ihn als wachsam-kriti­schen, neugierig-aufge­schlos­senen, auf uneitel-unkom­pli­zierte Weise eigen­sin­nigen Menschen in Erin­ne­rung.

Unver­gess­lich bleiben mir sein verdutztes Gesicht und seine unge­wohnte Sprach­lo­sig­keit nach einem Interview, das er 1987 nach der Jubiläums­ver­an­stal­tung in Ober­hausen der hoch­ge­schätzten WDR-Kollegin Manuela Reichart gab, die ihm, so sein Eindruck, sugge­rieren wollte, dass die deutschen Filme der 50er Jahre, mit denen die Ober­hau­sener Rebellen ja so radikal gebrochen hatten, eigent­lich doch gar nicht so schlecht gewesen seien. Ein letztes Mal bin ich ihm dann 2016 begegnet, in Locarno bei einem Gala-Empfang für Mario Adorf, der damals mit einem Ehren-Leoparden für seine exor­bi­tante Karriere ausge­zeichnet wurde. Beide hatten ihre Karriere im deutschen Film im selben Jahr begonnen, der fünf Jahre ältere Adorf mit einer kleinen Rolle in 08/15 und Doermer mit einer kleinen Rolle in Geliebtes Fräulein Doktor, das war im Jahr 1954.

Auch Christian Doermer war ein Star des deutschen Films und hat in inter­na­tio­nalen Filmen gespielt, hat sich dann aber aus dem Rampen­licht zurück­ge­zogen, um selber Filme zu machen, die nicht die große Öffent­lich­keit fanden. Viel­leicht hätte er auch ähnlich wie Adorf eine große Starkar­riere machen können, wenn er diesem Weg weiter gefolgt wäre, hat aber statt­dessen eine Abkehr von den vorge­zeich­neten Bahnen vollzogen wie der Prot­ago­nist in Das Brot der frühen Jahre, den er gespielt hat – eine Rolle, die für ihn viel­leicht auch in diesem Sinne wegwei­send gewesen sein mag.

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