Der Entwurf der Rundfunkkommission der Landesregierungen für einen „Staatsvertrag zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ sieht…
40 Jahre Filmbüro NW
Am 12. Mai 1980 wurde das Filmbüro NW e.V. von 71 Filmemacher*innen gegründet, um das unabhängige Filmschaffen in NRW zu fördern. Die Jubiläums-Feierlichkeiten mussten nun aufgrund der Corona-Pandemie verschoben werden. Doch wir werfen einen lohnenden Blick zurück auf die Anfänge des Filmbüros: Gründungsmitglied Christoph Hübner hat für unsere Festschrift zum 40. Jubiläum einen Text verfasst und schaut auf die bewegte Geschichte des Filmbüros NW zurück, 1980-2020. Flankiert werden seine Texte von Dokumenten der Gründungszeit wie dem Protokoll und der Pressekonferenz zur Gründungsversammlung und einer Liste der Vorstands- und Gründungsmitglieder.
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„Die Wüste lebt…“ das war unser Wahlspruch und Motto, als wir vor 40 Jahren das Filmbüro NW auf den Weg brachten. NRW war damals tatsächlich mehr oder minder eine Filmwüste, es gab ein paar verstreute Filmemacher und Produzenten, ein paar Festivals und es gab den großen WDR in Köln. Von einem Filmland jedenfalls konnte nicht die Rede sein. Das aber war unsere trotzige Behauptung. Und unsere Utopie.
Utopie – das Wort kommt aus dem griechischen, es bedeutet „kein Ort oder noch nicht Ort“. Jede Art von Filmemachen geht von einer Utopie aus, von etwas, was noch nicht ist, einer Vorstellung, einer Idee, einem Interesse. Und dann irgendwann wird etwas daraus, etwas körperliches, Reales. Für mich jedes Mal etwas Erstaunliches. Eine solche Utopie war auch das Filmland Nordrhein-Westfalen und auf dem Weg dahin die Einrichtung einer unabhängigen kulturellen und selbstverwalteten Filmförderung.
Die Idee der selbstverwalteten Filmförderung entstand damals zunächst in Hamburg und auch die Idee eines Filmbüros als Träger dieser Förderung kam von dort. Wie in Deutschland üblich, mußte dazu erst mal ein Verein gegründet werden.
Die Gründung eines solchen Vereins geht nicht ohne Reibungen ab. Zunächst war die Frage: wer ist oder wird Mitglied, wer steht für den NRW-Film. Dann aber – noch wichtiger und durchaus umstritten – die Frage nach dem Standort. NRW ist ein Flächenland und hat – je nach Blickwinkel – verschiedene Zentren. Düsseldorf als Landeshauptstadt, Köln als größte Stadt des Landes und Sitz des WDR oder das Ruhrgebiet als prägende Industrieregion und zugleich stellvertretend für die Idee des Regionalen, für NRW als Flächenland. Und wir wollten die Filmkultur ausdrücklich nicht nur in den großen Städten, sondern in der Fläche etablieren.
Wir entschieden uns also mit Mehrheit für das Ruhrgebiet und für Mülheim an der Ruhr als Standort des Filmbüros. Für Mülheim sprach, daß uns von der Stadt Büroräume und finanzielle Unterstützung angeboten worden waren und daß Werner Nekes hier parallel ein Museum für seine große filmgeschichtliche Sammlung plante.
„Dem Land seine Bilder geben…“ war ein zweites Motto damals.
Dh. wir wollten nicht einfach nur Fördergelder für Filmemacher, sondern wir fühlten uns mit unserer Initiative auch dem Land und seinen Menschen verpflichtet. Wir wollten Geschichten von hier und heute mit den Mitteln des Kinos erzählen. In aller Freiheit und gleichberechtigt in den verschiedenen Genres, Spielfilm, Dokumentarfilm, Experimentalfilm.
Unsere Forderung und unsere Utopie dazu war eine offene, vielfältige und selbstverwaltete Filmförderung. Das heißt: von den Filmemacher*innen selbstgewählte Gremien sollten bestimmen, was und wie gefördert wird. Dabei war uns ganz wichtig: keine Trennung der Genres, im Gegenteil die Vorstellung, daß Spielfilm, Experimentalfilm und Dokumentarfilm zusammengehören und erst in ihrem Dialog etwas wie eine nachhaltige Filmkultur entsteht. Das hat in den Anfangszeiten gut funktioniert, es entstanden Freundschaften und Arbeitsbeziehungen weit über die Genregrenzen hinweg.
Eine weitere Utopie war: die weitgehende Offenheit des Antragsverfahrens. Vorsingen, Schreiben, Fotoroman, Drehbuch, Exposé etc. – alles war möglich und jeder konnte zu seinem Antrag zusätzlich eine Anhörung beantragen. Entsprechend länger dauerten übrigens auch die Jury-Sitzungen, mindestens zwei Tage waren damals die Regel.
Dann – ganz wichtig: das Zeigen und Vertreiben von Filmen sollte ebenso ernst genommen werden wie die Förderung der Produktion. Es sollte also zusätzlich eine gut ausgestattete eigenständige Verleih- und Vertriebsförderung entstehen.
Und nicht zuletzt lag uns die kulturelle Pflege der Filmlandschaft am Herzen, d.h. die Unterstützung von kommunalen Kinos, Filminitiativen, die Gründung von Filmhäusern, das Erleichtern des Filme-Zeigens und Filme–Sehens an den verschiedensten Orten – nicht nur in den Zentren, sondern verteilt über das ganze Land.
Was ist davon geblieben? Auf’s Ganze gesehen dann doch Einiges. NRW ist tatsächlich ein Filmland geworden, es gibt hier inzwischen eine der größten und vielfältigsten Filmförderungen in Deutschland, es entstanden zahlreiche Produktionsfirmen und Filmdienstleister, es gibt eine Menge meist kleinere Verleihe und – zumindest in den Zentren – eine lebendige Kinokultur. Auch die Zahl der regionalen und überregionalen Festivals in NRW ist bemerkenswert gewachsen. Und das Filmbüro ist ein lebendiger Verein mit über 200 Mitgliedern geworden.
Auf den ersten Blick also eine pralle Erfolgsgeschichte? Nicht ganz. Wenn man genau hinschaut, gibt es doch einige Unwuchten, ein paar Verluste auf dem Weg und gestrandete Utopien.
Da ist zunächst der regionale Gedanke: Tatsächlich konzentriert sich inzwischen fast alles in den Zentren, in Köln und – schon weniger – in Düsseldorf. Auch das Filmbüro ist inzwischen nach Köln gezogen. Der Rest des Landes, das Ruhrgebiet, die übrigen ‚Provinzen’ sind mehr oder minder abgehängt. Aus unserem Traum einer blühe
nden Filmlandschaft in der Fläche ist leider nicht recht was geworden. Es gibt noch ein paar Filmhäuser und Filminitiativen verstreut über das Land, aber sie bilden keine zusammenhängende und widerstandsfähige Filmkultur.
Auch ist das offene, wenn man so will: anarchistische Moment unserer Vision von Filmförderung, die Freiheit in der Form der Antragstellung, der Anhörung und der unbürokratischen Förderungsvielfalt mehr oder minder einer durchorganisierten und eher marktkonformen Förderungs- Wirklichkeit gewichen. Die kulturelle, immerhin noch selbstverwaltete Filmförderung ist unter dem Dach der großen Filmstiftung inzwischen nur noch ein kleinerer Teil des gesamten Förderungsvolumens.
Ohne vielleicht gewollt zu sein hat sich – wie überhaupt in der Film- und Förderungs-Landschaft in Deutschland – eine Art Normierung der filmischen Haltungen durchgesetzt. Daran ist auch das Fernsehen nicht ganz unschuldig, das meist einen starken Einfluss in der Filmfinanzierung hat.
Leidtragende dabei sind vor allem die Film-Avantgarde, der sogenannte „Experimentalfilm“, überhaupt die offenen, nicht vorab beschreibbaren Filmformate geworden. Was ich sehr bedauere, denn die Vielfalt und der ungeheure Reichtum der Filmsprache, der Filmformen leiden darunter.
An die Stelle ist eine durchaus geschäftige und auch meist gut beschäftigte Produzentenlandschaft getreten, die das Filmland NRW inzwischen mehr prägt als die ursprüngliche Autorenkultur der Gründerzeiten. Das ist
nicht a priori schlecht und vielleicht auch nicht unbegründet, denn die komplexen Anforderungen des vernetzten internationalen Marktes und der heutigen Kino- und Fernsehwirklichkeit lassen sich vielleicht wirklich von professionellen Produzenten*innen leichter bedienen als von individuellen Autoren-Filmer*innen. Dennoch bleibt die Autorenfilmkultur ein wichtiger Teil und ein rebellisches, eigenständiges und notwendiges Element des unabhängigen Kinos.
Ähnliches gilt auch für die Kino- und Verleihstrukturen. Unser damaliges Diktum, dass der Produktionsförderung unbedingt eine ebenso kräftige und substantielle Verleih- und Kinoförderung an die Seite gestellt werden muss, ist nur zu Teilen verwirklicht. Gerade der nicht-kommerzielle Film und die engagierten Kinos, die ihn spielen, brauchen großzügige und kontinuierliche Unterstützung. Eine lebendige und vielfältige Filmkultur ist eben mehr als der Blick auf Zahlen.
Das gilt auch für das große Feld der Filmbildung, für die Pflege von Repertoire und Filmgeschichte und der ganzen Vielfalt des künstlerischen Films in kommunalen Kinos, Schulen, öffentlichen Einrichtungen etc.
Da sehe ich tatsächlich noch eine große offene Baustelle, die maßgeblich über die Zukunft und die Attraktivität des Kinos vor allem bei seinem jüngeren Publikum entscheidet.
Auf’s Ganze gesehen ist das Filmemachen in NRW selbst vielleicht einfacher und professioneller geworden. Aber all das, was nicht kommerzialisierbar und nicht in einem Produkt zu fassen ist, für das man Geduld braucht und vor allem eine Form von Kontinuität und Personal (wie etwa bei Filmhäusern, kommunalen Kinos, filmischen Initiativen etc.) hat es nach wie vor schwer.
Und vielleicht sind ja die 40 Jahre, die wir das Filmbüro NW und die unabhängige Filmförderung nun feiern, auch ein Anlass, ein wenig innezuhalten und auf all das, was damals die Utopien waren, noch einmal zu schauen. Vielleicht können wir – bei allen sonstigen Erfolgsmeldungen – etwas davon noch immer oder wieder neu gebrauchen.
Christoph Hübner