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Zum Tod von Dore O.

Mit großer Bestürzung haben wir vom Tod von Dore O. erfahren. Dore O. war Gründungsmitglied des Filmbüros NW und eine der wichtigsten Experimentalfilmemacher*innen im Schnittfeld zwischen Kunst- und Filmkultur. Ihr Werk ist einzigartig im deutschen Avantgardefilm und in den USA fast bekannter als in Deutschland.

Zum Jubiläum des Filmbüros haben wir zuletzt 2020 ihren gemeinsam mit Werner Nekes gemachten Film „jüm-jüm“ gezeigt. In diesem Jahr wird, vom Filmbüro mit herausgegeben unter der Leitung von Masha Matzke, die erste umfassende Werkbetrachtung und systematische Aufarbeitung der Geschichte ihrer Filmarbeit erscheinen, parallel zur Restauration ihres Filmwerks durch die Deutsche Kinemathek Berlin. Eine gemeinsame Veranstaltung zur Veröffentlichung der Publikation war bereits in Planung. Dore O. wird uns sehr fehlen. Wir trauern um eine von uns.

Vorstand und Geschäftsführung des Filmbüro NW

 

In Erinnerung an die Künstlerin und Experimental-Filmemacherin Dore O. (9.8.1946-7.3.2022)
Ein Beitrag von Werner Biedermann (erschienen im Filmdienst am 11.3.2022)

Die 1946 geborene Künstlerin und Filmemacherin Dore O., die mit vollem Namen Dorothea Alwine Oberloskamp hieß, war in den späten 1960er-Jahren zusammen mit ihrem Mann Werner Nekes eine der wichtigsten Akteurinnen des deutschen Experimentalfilms und Mitbegründerin der „Hamburger Filmemacher Cooperative“. Im Rahmen der Berlinale 2022 ehrte sie der Verband der deutschen Filmkritik soeben mit dem Ehrenpreis für ihr Lebenswerk. Am 7. März ist Dore O. im Alter von 75 Jahren verstorben.

Schon 1976 stellte der Kommunikationsforscher Paul Watzlawick in einem Buchtitel die Frage „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“. Ab 1967 gab Dore O. (eigentlich Dore Alwine Oberloskamp) ihre Antwort auf diese Frage – mit ihren Filmen und großformatigen Tafelbildern, die einen fotografischen Ursprung hatten.

Wirklichkeitsnähe meint die Übereinstimmung eines (Film-)Bildes mit Merkmalen einer beschreibbaren Welt. Polaroids, die von Dore O. mechanisch und chemisch bearbeitet und dann extrem vergrößert wurden, zeigten eine alternativ komponierte Wirklichkeit mit Hilfe von Bildern, die sich nicht dingfest machen lassen. Ausstellungen der Bilder von Dore O. beginnen, sich im Kopf des Betrachtenden weiterzuentwickeln, um alternative Wirklichkeitsbetrachtungen freizusetzen.

Das Assoziationsvermögen ist gefordert

Das Bild einer gefilmten Wirklichkeit wurde in ihren Filmen dekonstruiert durch Doppel- und Mehrfachbelichtungen, durch das Rückwärtsabfilmen von selbstgedrehtem Material, durch die Verwendung von Farbfiltern und durch ungewöhnliche Montagen, die das Assoziationsvermögen der Zuschauenden oftmals in Doppelbildwelten herausforderten. Einfach waren die Werke von Dore O. nicht, aber sie zeigten einen Weg aus dem Mief und den Konventionen der 1950er-Jahre. Das hat man auch bei der Kasseler „Documenta 5“ im Jahre 1972 und der „Documenta 6“ im Jahre 1977 erkannt, wo Dore O. jeweils eine Plattform bekam.

Schon 1970 erhielten sie und Werner Nekes das Filmband in Silber für den Film „Jüm-Jüm“. 1974 bekam sie dann den Grand Prix für ihren Film „Kaskara“ auf dem damals wichtigen Filmfestival „EXPRMNTL 5“ im belgischen Knokke.

Wie kam es zu dieser Entwicklung, wo doch eher marktwirtschaftliche Kriterien die bundesrepublikanische Filmlandschaft prägten? Nach einem Malerei- und Designstudium in Krefeld, Perugia und Hamburg lernte sie den Filmemacher Werner Nekes kennen, den sie 1967 heiratete. In den frühen Filmen von Nekes wirkte sie zunächst als Darstellerin mit. Später produzierten Dore O. und Werner Nekes auch zahlreiche abendfüllende Filme gemeinsam. 1968 gründete sie zusammen mit Klaus Wyborny, Hellmuth Costard, Helmut Herbst, Thomas Struck, Franz Winzentsen, Werner Nekes, dem Ästhetik-Professor und Happening-Künstler Bazon Brock und anderen die „Hamburger Filmmacher Cooperative“, welche vornehmlich im Undergroundfilm verortet war.

In den 1970er-Jahren zogen Dore O. und Werner Nekes von Hamburg nach Mülheim an der Ruhr und bauten dort eine alte Lederwarenfabrik zu ihrem Atelier und Wohnort um. Alle paar Jahre drehte Dore O. weiterhin eigene Kurzfilme, in denen sich gegenständliche Bildwelten zunehmend auflösten. Ab dem Jahr 2000 widmete sie sich mehr ihren großformatigen alternativen Wirklichkeitsstudien, deren Vieldimensionalität sich in kontrastreichen Licht- und Schattenkompositionen manifestierte.

In den vergangenen Jahren hat sie ihre Filme gemeinsam mit der Deutschen Kinemathek restauriert und digitalisiert. Zahlreiche Retrospektiven, unter anderem über das Goethe-Institut, sind vorgesehen.

Der „Verband der deutschen Filmkritik“ teilte während der diesjährigen Berlinale mit, dass Dore O. mit dem Preis der deutschen Filmkritik 2021 für ihr Lebenswerk geehrt wird. Jetzt ist die Filmemacherin im Alter von 75 Jahren in Mülheim an der Ruhr gestorben.

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